Norden, der Platz des inneren Erwachsenen, der Ältesten und Weisen
Der Norden im Regenbogenmedizinrad ist der Platz der Ältesten und Weisen. Als gereifte Erwachsene haben wir gelernt, aufrichtig, authentisch und würdevoll durchs Leben zu gehen. Dabei greifen wir auf den Schatz des Erlernten und Erfahrenen zurück, der uns gelehrt hat, anzuerkennen was ist und in Mitgefühl für uns selbst und andere zu gehen, während wir stets offen bleiben für das Neue und die Veränderung, die das Leben nun mal ist – das Geheimnis weiser Menschen.
Der Platz des Nordens, dem unser Intellekt zugeordnet ist, hat eine Art Navigationsfunktion in unserem Leben. Es ist Aufgabe des gesunden Menschenverstands aus den „Informationen“ der anderen Himmelsrichtungen – dem Seelenplan des Ostens, den Gefühlen aus dem Süden und der Intuition aus dem Westen – abzuwägen und unsere Schritte zu lenken. Der Verstand ist es, der das Gesammelte in Worte und Handlungen übersetzen kann.
Hier also treffen wir, wenn unser innerer Erwachsener erwacht ist, auf Qualitäten wie Wahrhaftigkeit, Selbstbestimmtheit und Klarheit. Der Himmelsrichtung des Nordens zugeordnet ist der Winter, der uns mit Klarheit regelrecht einhüllt, so lässt die blattlose Natur das Zugrundeliegende erkennen, während die Luft ebenso klar ist wie die kristallinen Strukturen von Schnee und Eis. Ein klarer Geist – im Gegensatz zu einem verwirrten – vermag zu erkennen, was wahrhaft ist. So kann er etwa aus Prägungen und Mustern aussteigen, um durch mutige Entscheidungen das Leben zum eigenen Wohle zu lenken und zu verändern.
Eine Ent-scheidung bedeutet immer eine klare Trennung, denn das eine zu wählen bedeutet gleichzeitig ein Nein zu allen anderen Alternativen. Den Job weiter machen oder wechseln? Umziehen oder in der bestehenden Wohnung bleiben? Eine Partnerschaft eingehen oder nicht? Entscheidungen haben somit Konsequenzen – und das macht es auch für viele Menschen so schwierig, sie zu treffen, weil sie sich davor fürchten, die Verantwortung zu übernehmen. Der Job ist mühsam oder langweilig geworden, doch trotzdem bleibt man, erträgt die Unzufriedenheit aber nur, indem man gegen die Arbeitsbedingungen wettert. Wir überlassen die Verantwortung für die Zufriedenheit dem Außen bzw. den Anderen – den Arbeitgeber*innen, Kolleg*innen oder dem generellen Arbeitsumfeld. Einen selbstbestimmten Weg zu gehen hingegen hieße, die Verantwortung selbst zu tragen. In diesem Fall könnte das bedeuten, Jobinserate zu lesen und sich zu bewerben oder schlicht zu kündigen, um sich erst einmal darauf zu besinnen, was man denn in seinem Leben machen möchte. Das ist erwachsenes Handeln, denn wir tun, was wir zu tun vermögen. Mit der Verantwortung holen wir unsere Macht zu uns zurück, deren sprachliche Wurzel übrigens genau darauf zurückführt nämlich „können“ bzw. „vermögen“. Selbstbestimmt und selbstermächtigt unser Leben zu gestalten und Entscheidungen zu treffen lässt uns in Freiheit sein.
„Mit einer Entscheidung engen wir ein. Eine Entscheidung FÜR etwas ist auch immer eine GEGEN etwas. Gleichzeitig ist es so, dass wir, wenn wir die Entscheidung getroffen haben, durch eine Tür durch sind und danach Weite erleben.“ Anselm Grün
Als Kinder haben die Erwachsenen für uns die Verantwortung, obwohl wir uns darüber gerne echauffieren und sie für uns beanspruchen möchten. Amüsanterweise geben wir sie im Erwachsenenalter dann umso lieber ab, wie das genannte Beispiel zeigt. Es ist Teil unseres Reifeprozesses, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen, darauf zu vertrauen, dass es die jetzt beste Entscheidung ist und nicht an ihr zu zweifeln, wissend, dass es kein richtig und kein falsch gibt, sondern es darum geht, eine Erfahrung zu machen und daraus zu lernen. Auf diese Weise reifen wir und weiten uns für das Wesen und die Weisheit des Lebens.
Liegt nun die Quelle der Weisheit im Älterwerden?
Nun ja, gehen wir davon aus, dass wir unser Wissen anreichern durch Lernen wogegen unsere Weisheit mit dem Leben und damit mit der Erfahrung wächst – Weisheit sozusagen umgesetztes Wissen ist – dann bedeutet ein Mehr an Lebensjahren eine höhere Chance, dass ein älterer Mensch mehr gesehen hat als ein jüngerer. Doch ausschließlich das Ältersein verantwortlich für die Weisheit eines Menschen zu sehen ist es wohl nicht, denn wie ließe sich einerseits der weise Jüngere erklären und andererseits zeigt das Leben, dass es statt Weiterentwicklung durch Erfahrung auch einfach zur Wiederholung selbiger kommen kann, man aus Erfahrung also nicht automatisch klüger wird.
Was fördert nun das Verständnis vom Sinn des Lebens und macht uns selbst für unsere Weisheit empfänglich? Reflektiertheit, Einfühlungsvermögen und eine gesunde Selbstannahme, aus der unser wahrhaftiger Ausdruck erwächst nehmen dabei ebenso Einfluss wie die wichtigen Qualitäten Neugierde und Offenheit, um sich auf neue Erfahrungen sowie Denkweisen und damit auch auf Veränderungen einlassen zu können. Denn der Weise weiß mit Sicherheit, dass Nichts im Leben gewiss ist – einzig die Veränderung.
„Der Mensch hat dreierlei Wege zur Weisheit: Erstens durch Nachdenken, das ist der Edelste. Zweitens durch Nachahmen, das ist der Leichteste und drittens durch Erfahrung, das ist der Bitterste.“ Konfuzius
Manchen von uns macht Veränderung Angst, darum werfen wir doch einen Blick auf das immense Potential, das in der Veränderung liegt: Die Wissenschaft ist beim Zählen unserer Gedanken auf die stolze Zahl 60.000 pro Tag gekommen – davon sind nur etwa 5% neue Gedanken, der große Rest ist alt und wiederkehrend. Was bedeutet das für unser Menschsein und das Leben, das wir führen? Wir sind die Schöpfer*innen unserer Welt, somit können wir sie jederzeit verändern – und zwar unser ganzes Leben lang! Eine wichtige Zutat dafür sind „neue“ Gedanken. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob wir denken „Das kann ich niemals schaffen.“ oder „Ich spüre das Potenzial in mir, es zu schaffen.“
Auf körperlicher Ebene betrachtet ist Veränderung ein Geschenk der Neuroplastizität, der Fähigkeit unserer Nervenzellen sich mit anderen zu vernetzen. Durch Erfahrungen werden aufgrund dieser Fähigkeit neuronale Netzwerke gebildet, je häufiger wir eine Form von Erfahrung machen, umso stärker werden diese Netzwerke, sie sind ausgebaut wie Autobahnen und wirken identitätsstiftend. Wollen wir nun etwas in unserem Leben verändern, bedarf es einer neuen Abfahrt, die wir uns bauen müssen, die erst einmal vielleicht ein Fußweg ist, jedoch entsteht über unsere neuen Gedanken, das Treffen veränderter Entscheidungen und das Sammeln von neuen Erfahrungen sukzessive ein breiterer Weg. Was zu Beginn vielleicht beschwerlich anmutet, bekommt mit der Zeit durch das Außen eine beschleunigte Dynamik und fällt immer leichter: Man lernt vielleicht neue Menschen mit gleichen Interessen kennen, es ergeben sich unerwartete Chancen und irgendwie scheint alles wie von selbst zu laufen. Wir dürfen uns daran erinnern, dass wir jeden Tag aufs Neue die Möglichkeit haben uns das Leben zu erschaffen, von dem wir träumen – wir haben die Macht dazu und tragen selbst die Verantwortung dafür.
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“ Charles Reade
Abschließend noch ein Gedanke zur Weisheit inspiriert aus dem Kosmos: Der Planet dem die Qualitäten der Weisheit, Klarheit, Erkenntnis und der Verantwortung zugeordnet sind ist Saturn. So ist das Ent-scheiden auch eine saturnische Aufgabe. Jede Entscheidung hat wie erwähnt mit einer Trennung zu tun, das impliziert, dass jeder Veränderung, jedem Wandel ein Verlust des Alten innewohnt, in den kleinen wie den großen Dingen, die wir tagtäglich zu klären haben. Veränderung und Vergänglichkeit sind unvermeidbar im Leben, damit zeigt sich, dass dauerhaftes Glück nicht erzielbar ist, denn wir erfahren Abschiede und die sind mitunter schmerzhaft. Gott Saturn, der Hüter der Schwelle zu erweitertem Bewusstsein, lehrt uns die Lektion „Anerkennen was ist“. Er prüft uns durch Erfahrungen von Begrenzung, Mangel, Einsamkeit, Schuldgefühlen oder Ängsten, deren heilsame Verwandlung sich zeigt in Geschenken wie Ausdauer, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Klarheit und Würde. Während wir erkennen, dass das Glück nicht dauerhaft ist, lernen wir die kleinen und großen Momente des Glücks besser zu erkennen, wertzuschätzen und zu würdigen.
„Es war einmal ein König, der fragte einen weisen Mann nach dem Geheimnis des Glücks. Da gab ihm der Weise einen Ring mit der Inschrift: Auch dies wird vergehen.“ Francis Vaughan
Text & Bilder: Alexandra Neubauer
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